Dreissig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer. Eine literarische Standortbestimmung
DOI:
https://doi.org/10.24445/conexus.2021.04.007Abstract
Die Literatur der letzten dreissig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer bestätigt, was Imre Kertész in seinem Essay Freiheit der Selbstbestimmung zu bedenken gibt, dass die Frage, wie ein jeder in der Gesellschaft, der er angehört, der sein kann, der er ist, nicht so trivial ist, wie es zunächst scheinen mag, und auch die westlichen Demokratien bloss deshalb, weil sie Demokratien sind, keine Patentlösungen haben. Deutschland ist dabei keine Ausnahme, wie die Literatur exemplarisch zeigt. Zu komplex ist die Nachkriegsgeschichte beider deutscher Staaten, zu unterschiedlich sind die Lebenserfahrungen und die Konzepte dessen, was Freiheit der Selbstbestimmung meint; zu heterogen sind die politischen, ökonomischen, sozialen wie individuellen Interessen und Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger im Osten wie im Westen, die 1989 aufeinandertreffen.
Auch nach dreissig Jahren ist die Frage nach dem Sinn des Lebens jenseits von Konsum und Kapital nicht beantwortet. Merkwürdigerweise kommt bei den Rückblicken auf die untergegangene, durch friedliche Demonstrationen aufgelöste DDR in der Literatur die Selbstbestimmung als das Novum der Wiedervereinigung, als die Qualität an sich bis heute schlechthin nicht vor.
Die Schriftstellerinnen und Schriftsteller nehmen sich zwar ihre Freiheit und schreiben, worüber ihres Erachtens geschrieben werden muss: über die Vergangenheit und über die Gegenwart. Ausgespart jedoch bleibt die Zukunft, schon gar als utopischer Entwurf. Es gibt keinen Plan, so scheint es, wo die Reise, wo das Leben im wiedervereinigten Deutschland hingehen soll oder kann.
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